I. EINFUEHRUNG
Die letzten Jahrzehnte haben bedeutende Ergebnisse auf dem Gebiet der Stilistik gebracht. In zahlreichen Lehrbuechern, Monographien und Beitraegen wurden grundlegende Prinzipien weiterentwickelt und im Einklang mit dem Fortschritt der Sprachwissenschaft umgewertet.
Einer des Bereichs der Stilistik umfasst den Abschnitt, der «Feste Wortverbindungen» genannt wird. Dieses Thema ist sehr interessant und umfangreich. Die Ausdrucksmoeglichkeiten in der deutschen Sprache sind mannigfaltig und reich.
Jede entwickelte Sprache umfast eine grosse Zahl von Wörtern.Die Entwicklung des Wortbestandes läuft parallel mit der Entwicklung der Gesellschaft ; er verändert sich mit den wirtschaftlichen , politischen und kulturellen Veränderungen der Gesellschaft. Zu diesem Zwecke werden neue Wörter und neue Wortverbindungen gebildet oder schon vorhandenen Wörtern werden neue Bedeutungen übertragen.
Im Text treten die Einzelwörter nicht als isolierte sprachliche Gebilde in Erscheinung, sondern sie sind miteinnander verbunden und aufeinnander bezogen. Aus der Vielzahl der dem Autor zur Verfügung stehenden Wörter greift er sich jene heraus, die ihm für seine Aussage am geeignetsten erscheinen und fügt sie zusammen, verbindet sie; es entstehen Wortverbindungen.
Doch setzt der Autor seine Aussage nicht immer nur aus Einzelwörtern zusammen. Vielmehr haben sich viele Wörter schon mit anderen so fest verbunden, sind mit anderen schon in
eine feste Gemeinschaft eingegangen, eine Wortehe sozusagen, in der sie sich gegenseitig stützen und ergränzen, dass sie dem Autor gemeinsam in den Sinn kommen. Die Sprache hält dem Autor also nicht nur Einzelwörter bereit, sondern auch Wortverbindungen, gleichsam sprachliche Gebrauchsmuster, Modelle.
Solche feste sprachliche Verbindungen finden sich in erster Linie dadurch begründet, dass sich gleiche Vorgänge und Sachverhalte im gesellschaftlichen Leben vielfach wiederholen. Dadurch drängen sich dem Menschen immer gleiche Wortverbindungen als normative Bezeichnungen für diese Sachverhalte in den Mund:
den Plan erfüllen
Bericht erstatten
Es entstehen sprachliche Standarts. Nun können sich Wörter aber auch in der Weise verbinden. Dieser Vorgang heisst Idiomatisierung oder Phraseologisierung. Diese Fügungen sind dann nichts mehr auf eine bestimmte konkrete Situation festgelegt, z.B.
die Hände in den Schoss legen - müssig sein
und können auch sprichwortartigen Charakter annehmen, z.B.
Da diesen Fügungen trotz ihres allgemeinen Aussagegehaltes eine konkrete Ausgangssituation zugrunde liegt, tragen sie mehr oder weniger bildlichen Charakter, je nachdem , inwieweit der Leser die Übertragung von einer konkreten Ausgangssituation empfindet.
Man kann auch sagen, dass diese Fragen schon in vollem Masse erforscht wurden, aber doch moechte ich meine Diplomarbeit dem Thema « Feste Wortverbindungen» widmen.
Ich bearbeite mein Thema vom Standpunkt der Phraseologieforschung und der Sprachverarbeitungsforschung . Mein Ziel ist es, mittels der Daten einer Untersuchung die Faktoren zu erfassen, die das Verstehen idiomatischer Phraseologismen (Phraseologie im engeren Sinne) in der Fremdsprache Deutsch beeinflussen.Nach einer kurzen Einführung in der Phraseologieforschung und der Diskussion den aktuellen theoretischen Ansätze zum Verstehen von Phraseologismen werden die Ergebnisse meiner Untersuchungen dargestellt.
In dieser Arbeit befasse ich mich mit deutschen Phraseologismen, phraseo-logischen Einheiten im allgemeinen und mit Phraseolexemen, Idiomen , Sprichwoertern,Aphorismen, und Zitaten.
II.Stilistischer Wert der stehenden Wortverbindungen
1. Vorwiegend nominative stehende Wortverbindungen
Wie aus zahlreichen Arbeiten zur Phraseologie (*1) hervorgeht, stellt dieser Problemkreis eine Kreuzung von semantischen, stilistischen und grammatischen Lienien dar. Aufgrund einer Komplexmethode mit streng linguistischen Kriterien kam I.I.Tschernyschewa(*2 )in ihrer Monographie über die Phraseologie der deutschen Gegenwartssprache zu einer Gegenüberstellung fester (stehender) Wortverbindungen phraseologischen und nichtphraseologischen Typs. Die folgenden Ausführungen gründen sich auf eine stilistische Klassifikation(*3) des Sprachmaterials, die naturgemäss eng verbunden ist mit der realen Verwendung der Gruppen und Untergruppen in unterschiedlichen kommunikativen Bereichen – daher manche Überschneidungspunkte mit der funktionalen Klassifikation.
Man unterscheidet zunächst in groben Umrissen feste Wortverbindungen, deren kommunikative Hauptfunktion in der Nennung bestimmter Wirklichkeitserscheinungen besteht; sie sind meist funktionalstilistisch, seltener normativ-stilistisch und nur vereinzelt expressiv markiert. Der Gesamtsinn derartiger Wortverbindungen ergibt sich aus der Summe der einzelnen lexischenElemente in direkter Bedeutung; in manchen Fällen kann allerdings ein Glied der Wendung übertragene Bedeutung annehmen.
Man bezeichnet diese Gruppe als vorwiegend nominative stehende Wortverbindungen.
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(*1) Степанова-Чернышева;Чернышева; Кунин; Болдырева
(*2) Чернышева
(*3) Щукина; Riesel
Hierher gehören:
1)die sogenannten lexischen Einheiten – substantivischen und verbalen Fügungen, in der Regel mit funktionalstilistischer Charakteristik, wie z.B. die politökonomische BezeichnungRat der GegenseitigenWirtschaftshielfe (RGW)oder der midizinische Terminus künstliche Niere (Gerät, das die Funktion der Niere übernimmt); Schachspieltermini wie Schach bieten ( den König angreifen), das Schach decken ( den Angriff abwehren). Diese Untergruppe ist durch Stabilität gekennzeichnet, d.h. die hierher gehörigen Wendungen lassen kaum semantisch-stilistische Variationen zu.
2) Streckformen des Verbs( analytische Verbalverbindungen)
Sie können funktional stilistisch markiert sein: zum Versandbringen, in Rechnung stellen,(Handelsverkehr);sie können sich durch stilistische Gehobenheit vom einfachen Verb unterscheiden: ein Geständnis, einen Schwur ablegen – gegenüber gestehen, schwören.
1.1. Lexische Einheiten
Die substantivischen und verbalen Fügungen ( lexische Einheiten) werden hauptsächlich in der Sachprosa sowie in Presse/ Publizistik verwendet. So heisst es z.B. in einem Interview mit einem Wissenschaftler, Fachmann auf dem Gebiet der Nierentransplantation :
Zum Beispiel:
Sobald die anfallenden Nieren eintreffen, wird der Patient, der bisher mit der künstlichen Niere leben musste, einer Transplantation zugeführt.
Zwar ist die eng spezialisierte Fügung eine anfallende Niere dem Laien nicht verständlich, dem Urologen gibt sie aber eine eindeutige, sprachökonomische Erkläerung : es handelt sich um eine für den konkreten Kranken geeignete Niere mit weitgehender Übereinstimmung der Gewebsgruppen. Daher stösst sie der Organismus nicht ab, im Gegenteil, er lässt sich von der fremden Niere anfallen ( hier im positiven Sinn, während gemeinsprachlich unter diesem Verb ein feindliches Überfallen verstanden wird).Im zitierten Text für Fachleute kommt der nominativen Wortverbindung überzeugender Nachdruck und sogar Anschaulichkeit zu ( Modell der aktuellen Stilfärbung : Stil der Wissenschaft – neutral- neutral).
Sobald sich die funktional begrenzte Bedeutung einer substantivischen oder verbalen Wortverbindung erweitert und in alle kommunikativen Bereiche des Gesellschaftsverkehr eindringt, geht die partielle Stilfährbung meist zur allseitig neutralen Markierung über.Dies betrifft z.B. die stilitischen Modelle folgender Wendungen:
weisse Flotte – Fahrgastschiffe für Ausflugsverkehr
Freie und Hansestadt Hamburg – allgemeingebräuchliche Bezeichnung für Hamburg als Land der BRD
Rechenschaft (von jmdm.) fordern – ursprünglisch terminologisch nur im Amtsbereich, heute neutrall in allen kommunikativen Teilgebiten des Sprachverkehrs.
Das sind die Meinungen von Stepanova und Chernischowa, aber es gibt noch viele Stilisten, die verschiedene linguistischen Untersuchungen und wissenschaftliche Abhandlungen darlegen.
Laut der Meinung von Wimmer und Rainer , sind die Phraseologismen Einheiten, die aus mehr als einem Wort bestehen und in dieser Form(evtl. einer Variante davon) lexikalisiert sind. Phraseologismen im weiteren Sinn sind durch
Polylexikalität und Festigkeit charakterisiert.
jmdm. einen Auftrag erteilen
die Zähne putzen
Die Festigkeit ist eine Manifestation der Gebräuchlichkeit einer bestimmten Wortverbindung. Sie kann zusätzlich auf die Bindung an eine typische Gebrauchssituation zurückgehen, die pragmatische Festigkeit bzw. Routineformeln erzeugt.
nicht wahr
alles Gute zum Geburtstag
Phraseologismen im engeren Sinn sind zusätzlich durch Idiomatizität bestimmt, dadurch also, dass die Komponenten eine durch die syntaktischen und semantischen Regularitäten der
Verknüpfung nicht voll erklärbare Einheit bilden
jmdm. einen Korb geben im Sinne von jmdn. Abweisen
Die so durch syntaktische oder semantische Irregularität entstehende Festigkeit ist eine strukturelle Festigkeit.
Hals über Kopf weglaufen
In semantischer Hinsicht können Phraseologismen von den Bedeutungen der Komponenten her motiviert und
damit (u.U.) leichter verstehbar oder nicht-motiviert bzw. besonders idiomatisch sein. Eine bedeutende Art der Motivation ist die metaphorische Motivation. Aus den Besonderheiten der Struktur als lexikalische Einheiten ergeben sich besondere Möglichkeiten des Gebrauchs und des Verstehens und besondere Möglichkeiten der phraseologischen Sprachbewusstseins: So kann neben dem eindimensionalen Gebrauchen und Verstehen der phraseologischen Bedeutung zusätzlich die Bedeutung der freien Wortverbindung aktualisiert werden, sodass zwei Bedeutungen involviert sind. Besonders charakteristisch sind solche Verwendungsweisen für Wortspiele,
in der Werbung oder in literarischen Texten, beispielsweise im folgenden (politisch nicht korrekten) ”Witz”:
A: Meine Frau kann die Berge nicht leiden.
B: Wieso?
A: Weil das Echo das letzte Wort hat.
1.2. STRECKFORMEN
Die Streckformen bilden eine eigenartige Untergruppe der vorwiegend nominatiwen Wortverbindungen, bestehens aus einem Verbalabstraktum und einem Funktionsverb (*1), wie etwa:
zur Verlesung bringen - verlesen
Sie können funktional stilistisch markiert sein:
zum Versandbringen,
in Rechnung stellen,(Handelsverkehr);
Sie können sich durch stilistische Gehobenheit vom einfachen Verb unterscheiden:
ein Geständnis, einen Schwur ablegen – gegenüber gestehen,
schwören
Die Bezeichnung Funktionsverb geht darauf zurück, dass ein anderes, meist ausdrucksschwaches Verb die syntaktische Funktion des Grundverbs übernehmen muss, da dieses selbst zum sinntragenden Abstraktum substantiviert wird. Gerade an diesem Typ lässt sich ein Wandel der sprachlichen Normen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nachweisen. Wenn noch bis in die letzten Jahrzehnte die substantivisch-verbalen Wortverbindungen der Streckformen als Papierdeutsch verpönt waren, so wurde mit allmählichen, aber unleugbaren Vordringen des Nominalstils (*2) auch die Einschätzung dieser analytischen Verbalfügung geändert.
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(*1) Polenz
(*2) Nominalstil , S.113/117
Zumindest wurde ihre summarische Verurteilung als schwerfälliges, ja schlechtes deutsch seltener, und man begann, die kommunikativen und stilistischen Vorzüge der Konstruktion zu untersuchen.
Gewiss dürfen Übertreibungen nicht gebilligt werden, doch muss jeder Deutschinteressierte die so lange unbeachteten kommunikativen und stistischen Werte der Streckformen verstehen lernen.
Vor allem muss man feststellen, dass die analytische Verbalverbindung durchaus nicht immer gemeinsprachliches Synonym des Grundverbs ist.
Denn einmal kann sie auf sprachökonomische Weise die Information bereichern, indem sie die Aussage inhaltlich praezisiert, zum andern vermag auch den funktionalen Stilbereich und das berufliche Kolorit zu untermalen. Dem einfachen Verb beweisen kann unmöglich derselbe Grad von semantischer und stilistischer Klarheit eigen sein, den man bei den juristischen Termini einen ( überzeugenden, unwiderlegbaren) Beweis antreten, liefern, wahrnimmt. Wer einen Beweis antritt, ist noch sicher, ob er ihn auch wirklich beibringen kann.
Wenn etwas unter Beweis gestellt wurde, bedeutet dies- trozt Bericht in der Ebene der Vergangenheut- noch lange nicht, dass das Ergebnis positiv ausfiel.
Die Wörterbuecher geben in diesen und ähnlichen Fällen meist den Hinweis auf den spezifischen Kommunikationsbereich ( also in den vorangehenden Beispielen Jur.) und anschlissend oft: sonst papierdeutsch
- eine stilistische Kennzeichnung, gegen die man Einwand erheben möchte. Es kommt nicht nur auf die funktionale Sphäre des Gesellschaftsvehrkehrs an, sondern vor allem auf die Bedeutunsnuance in der jeweiligen Sprechsituation.
Zweifellos ist der einfache Satz Ich danke Ihnen vielmals schlichter als die gehobenen und feierlichen Worte: Ich möchte Ihnen meinen (aufrichtigsten, herzlichsten, innigsten,wärmsten) Dank ausdrücken.
Aber desshalb ist er doch nicht absolut „besser“, wie es in manchen Wörterbüchern heisst. Von der Veranlassung des Danksagens, von den näheren Umständen, unter denen der Dank ausgesprochen wird, hängt es ab, welche Aussageform motiviert ist, die einfache oder die komplizierte. Verallgemeinerungen paradigmatischer Art sind hier nicht am Platz.
Unverkennbar ist der Stilwert des Satzrhythmus, den der Streckform-Gebrauch mit sich bringt.Bekanntlich steht das finite Verb im Deutschen an der am schwächsten betonnten Stelle des Aussagesatzes.
Bei der substantiwisch-verbalen Wortverbindung, die seinerzeit zu Unrecht von E.Engel(*1) mit dem Schlagwort „ Aus Eins nach drei!“ verspotet wurde ( d.h. aus einem Wort mach drei Worte!), kommt der eigentlich Sinntraeger der analytischen Gruppe , das substantivierte Verb, ans Saztende und damit an den rhytmischen Schwerpunkt.
Die rhytmische Wirkung der Streckform kommt auch im Frage und Ausrufesatz zur vollen Geltung. So lässt W.Borchert in senem Hörspiel „Draussen vor der Tuer“ den Heimkehrer klagen:
Wo ist denn der alte Mann, der sich Gott nennt?
Warum redet er denn nicht?
Gebt doch Antwort!
Warum schweigt ihr denn? Warum?
Gibt denn keiner eine Antwort? Gibt keiner Antwort?
Gibt denn keiner, keiner Antwort?
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(*1) V.Schmidt
Das waren die Untersuchungen von E.Riesel und E.Schendels und ich moechte auch die Meinung von Wolfgang Fleischer zu diesem Thema darlegen.
Laut der Meinung von Fleischer sind die Streckformen
die sogenannten „einfachen phraseologischen Wendungen“.
unter Beweis stellen
in Anrechnung bringen
zur Entscheidung gelangen
Ein Glied der Wendung , meist das Zeitwort, ist abgeblasst oder teilweise umgedeutet. Die Gesamtbildung ist jedoch aus den Einzelteilen zu begründen; in vielen Fällen ist sie nur die erweiterte Umschreibung des Zeitwortes. Die Wörter können in sehr begrenztem Masse gegen bedeutungsnahe ausgetauscht werden.(*1)Die Wendungen werden auch als Streckformen(*2) bezeichnet, da neben ihnen mehr oder weniger synonym oft ein einfaches Verb steht, als dessen ‘gestreckte’, erweiterte Form die Wendung aufgefast wird:
verkaufen - zum Verkauf bringen
kämpfen- einen Kampf führen
Die in diesen Wendungen gebrauchten Verben bezeichnet man bisweilen als Funktionsverben(*3), da die wesentlichen Abbildelemente der ganzen Konstruktion sich auf das Substantiv verlagert haben und die Verben nur die „Funktion“ haben, syntaktisch-morphologische Merkmale zu tragen (Tempus, Modus, Prädikatsbeziehung); daher auch die Bezeichnung Funktionsverbgefüge für diese Wendungen. (*4).
(*1) Wörter und Wendungen
(*2) V.Schmidt ; Die Streckformen des deutschen Verbums